7.000 km mit dem Hollandrad durch Canada und Alaska

von Klaus Lüttgen
(Grevenbroich)

Mein Vorhaben, den hohen Norden British Columbias, den Yukon und schlussendlich auch Alaska zu bereisen, hat eine sehr lange Vorgeschichte.

Ich muss so um die zehn Jahre alt gewesen sein, als erstmalig der Wunsch entstanden ist, Nordamerika zu bereisen. Im besonderen zogen mich die Geschichten Jack Londons in ihren Bann und prägten meine Vorstellungen, dort als Trapper und Holzfäller zu leben. Die Träume eines kleinen Jungen eben, der vor der kalten Wirklichkeit flüchtet, um in der noch viel kälteren Nordischen Welt zu bestehen.

Der Grund für meine Träumereien, waren das angespannte Verhältnis zu meinem Vater. Dies hatte mich schon als kleiner Junge immer wieder in diese Träumereien abgleiten lassen...

Mein Vater Karl Lüttgen war Sammler und als er im August 2008 im Alter von 78 Jahren verstarb, hinterließ er mir eine enorme Menge, weit mehr als 20.000 Karnevalsorden.

Mittlerweile bin ich älter geworden und verstehe mehr um die problematische Beziehung zu meinem Vater. Ich bedauere es sehr, dass wir uns nicht mehr aussprechen konnten. Aus diesem Grunde auch, habe ich ihm diese spezielle Tour gewidmet. Mehr noch: Auf dieser „Unserer Tour“ habe ich versucht alle Probleme, die wir hatten, endgültig zu beenden und in Alaska, dem Land meiner Träume, zurückzulassen. Vaters Karnevalsorden waren dabei quasi der Mittler, dass Medium dieser Reise. Seine Orden schenkte ich Menschen, denen ich auf meinem Abenteuer begegnete. Menschen, die mir Trinkwasser oder zu Essen gaben oder auch mal eine Übernachtung ermöglichten. Diese seine Orden brachten mich mehr als 40 Jahre später in das Land, in dem ich schon als kleiner Junge in meinen Träumen unterwegs war...

Am 8.6. 2011 stehe ich mit meinem kleinen "Karnevalszug" samt 250 Karnevalsorden im Gepäck am Airport von Vancouver.

Bericht, Vancouver - Whitehorse:


Eine gute Landung!

Mein Anhänger ist schnell zusammengebaut und alle sieben Sachen verstaut, als ich an der Airportinfo stehe und mein Gefährt neugierige Blicke auf sich zieht. Die Dame vom Stand ist besonders angetan von meiner Unternehmung „20.000 Orden für Alaska“ und drückt mir sogleich eine Adresse in die Hand.„Meine Tochter lebt mit ihrem Mann in Valdez, du brauchst nur im Postsoffice nach ihr zu fragen, die kennen sich alle dort. “Wer hätte das gedacht? Kaum aus dem Flieger und schon eine mögliche Übernachtung in meinem Hauptziel Valdez.

Allerdings sind es bis dorthin noch schlappe 4500 km. Nun schnell raus aus Downtown Vancouver! Die letzte Nacht zu Haus war viel zu kurz, die 10,5 Stunden Flug viel zu lang und nun sind es noch 64 km bis zum ersten Camp. Ich arbeite mich durchs Großstadtgewimmel von Multiculti-Vancouver quer durch den Stanley-Park über meine schöne Lions-Bridge nach North Vancouver. Dort geht es weiter den Marine Drive an der Küste entlang und beständig rauf und runter bis Horseshoe-Bay.

Über den Sea to Sky-Highway erreiche ich am Abend endlich Porteau Cove, herrlich gelegen dieses Taucherparadies und mein Zelt steht direkt am Ufer des Pazifik. Ich will es langsam angehen, geht auch gar nicht anders, denn schnell wird mir klar, dass meine Fuhre völlig überladen ist! Beständig geht es bergauf und am dritten Tag bei den Nairn Falls, treffe ich eine wichtige Entscheidung. Wendy und David, ein Ehepaar aus Vancouver, bieten sich an und bringen etwa 7 kg an Überlast zurück nach Vancouver zu einem Schweizer Freund, der dort seit 33 Jahren lebt.

Ab Pemberton beginnt der Anstieg zur Duffey Lake Road. Bis zu 14% geht es hier brutal zur Sache und ich muss deutlich Federn lassen. Unablässig schiebe ich meinen Karnevalszug nach oben. Es regnet die ganze Zeit über und nach 6,5 Stunden Schwerstarbeit stehe ich auf dem Peak als plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Radfahrer aus dem Nebel auftaucht. Kyle ist ca.20 Jahre und misst etwa 2 Meter. Ich erkenne sofort, er fährt einen Eddi Merx-Renner aus den 80zigern. Eddi ist mein großes Vorbild erzähle ich ihm, der ‘Kannibale’ hat damals am Berg so ziemlich alle gefressen! Fröhlich pfeifend und sichtlich stolz fährt Kyle zurück in Richtung Pemberton. Für den Anstieg hat er gerade mal 1,5 Stunden gebraucht.

Dauerregen! Ich lasse mich talwärts rollen und hoffe bald ein geeignetes Camp zu finden. Mir ist kalt und schon nach 21.00 Uhr taucht plötzlich auf der linken Seite ein Braunbär auf, ich brauche gar nicht zu klingeln - mein ‘Dicker Pitter’ (Fahrradglocke, groß) hat sich gelöst und von dem Gerappel aufgeschreckt läuft er quer über die Straße und verschwindet im Wald. Das war ein Cinnamon, ein rotblonder Schwarzbär. Die Schwarzbären sind eben nicht alle schwarz. Ich bin nass bis auf die Knochen als ich unweit meiner ersten Bärenbegegnung den Recreation-Campground ausmache.

Direkt am Lilloeet-River schlag ich mein Zelt auf. Es ist 21.30 Uhr, ich bin völlig alleine hier in den Bergen. Ich hab Hunger und muss unbedingt noch was Warmes essen. Als ich meinen Beutel mit den Lebensmitteln auf einen Baum ziehe ist es bereits 22.30 Uhr und dunkel. Jetzt ab ins Zelt, doch vorher drehe ich mich noch ein paar mal um……wo ist der Bär ? Mit dem Bärenspray neben mir ziehe ich den Reißverschluss runter und schlafe alsbald ein. Zum Angsthaben war ich heute viel zu müde!!!! Ich fahre durch ein wunderschönes Hochtal und erreiche zwei Tage später die Junction zum Highway 97.

An der alten Tankstelle in 70 Mile House fühle ich mich in die 60ziger zurückversetzt. Überall stehen alte Autos rum und die neueren sehen bereits auch schon recht mitgenommen aus. Hier achtet man eben nicht so sehr auf Rost und Beulen. Die Gegend hier am Green Lake gefällt mir ausgesprochen gut, ja hier würde ich mir meine Hütte bauen.

Nach einer rasanten Abfahrt gelange ich Tage später nach Clearwater. Hier, im Halfmoon Guesthouse, wunderschön abseits am Rande des Wells Gray Provincial Park gelegen, verbringe ich die nächsten Tage und gönne meinem schwer gekränkten Gebein erstmal eine Ruhepause. Leider sind meine voraus verschickten Orden noch nicht angekommen, die Post streikt seit Wochen in Kanada. So bin ich froh, dass ich noch ein paar in meinem Handgepäck habe und meine Tour trotzdem weitergeht.

Auf dem Weg nach Valemount werde ich in den Bergen von zwei aufeinander folgenden sogenannten Thunderstorms eiskalt erwischt und flüchte in ein Waldklo. Als ich Stunden später Valemount erreiche, bin ich fast steif gefroren und übernachte im Valemount Hotel, ein Haus wohl aus der Gründerzeit. Das Hotel ist unbelegt und so habe ich alle Zimmer für mich allein….wonderful. Nachts höre ich das Signalhorn des Rocky-Mountainers und als er näher kommt, wackelt das ganze Hotel…hoffentlich fährt er nicht durch mein Zimmer, hoffe ich und von irgendwoher aus den Bergen dringt das Geheul der Kojoten in die kleine Stadt Valemount.

Am Lake Lasalle versorgen mich die Geologen Jim, Richard, Jeff und Chris mit Trinkwasser und auf der Strecke nach Prince George, wieder mal total durchnässt, bietet mir Byron, ein junger Canadier, einen Lift auf seinem Pick-up an. Dort angekommen verbringe ich die Nacht bei einer Studentenclique.

Kaum in Smithers bietet mir Jürgen, ein Deutscher, für ein paar Tage einen Schlafplatz in seinem Trailer an. Auf dem Stewart-Cassier-Highway saugen mir die verdammten Mücken das Blut aus den Adern, als ich in letzter Minute vor einsetzendem Gewitter auf einem Steg mein Zelt aufschlage. Allein auf dem Cassier sehe ich 17 Schwarzbären und während einer Nachtfahrt bei Vollmond zum Kinnaskin Lake, habe ich die erste Begegnung, mit ursus horribiles. Nach 115 km musste ich unbedingt noch mein Camp erreichen. Dann lag er da völlig locker im Gras, wie ein riesiger Bernhardiner, doch es war ein Grizzly!!
Diesmal war ich ausgesprochen froh, als ich dann nach weiteren 2-3 km das Camp ereiche und festellen musste, dass die besten Plätze an diesem traumhaften See schon belegt sind…..Hauptsache, ich bin wieder unter Menschen.

Endlose Wälder und viele hundert Kilometer weiter scheint das Leben ausgelöscht. Hier etwa 50 km vor der Junction zum Alaska Highway 1 hat es vor ein paar Wochen gebrannt. Die ‘schwarzen Wälder‘ werden mich die nächsten Tage unablässig begleiten.

Nach 2478 km stehe ich im Schilderwald von Watson Lake und kann kein Schild von Köln entdecken. Bei mittlerweile weit über 72.000 Schildern ist das auch keine leichte Aufgabe! Kurzum besorge ich mir geeignetes Material und male ein Schild für uns Kölle.

120 km weiter. Ich sitze in der Rancheria, einem Hotel-Motel mit Gasstation, als Linda, die Besitzerin, sich für die Tour interessiert und mich anspricht. Als ich ihr meine Unternehmung 20.000 Orden für Alaska erkläre, sagt sie wie aus der Pistole geschossen: „du bekommst eine freie Übernachtung im Hotel und ein Abendessen von mir.“

Nach sieben Wochen Tortourdas erste Bad. Oh wie habe ich das genossen. Es tut soooo gut . Als ich dann später im Restaurant sitze traue ich meinen Augen nicht, als die Bedienung mir das Essen bringt.Zwei Teller voll Pommes mit Burger. Danke Linda!

Überall, wo ich mit meinem Karnevalszug erscheine, begegnen mir die Menschen aufgeschlossen und hilfsbereit und dies bereits seit fast acht Wochen.

Nun habe ich mein Zelt direkt am Yukon auf dem Robert Service Campground aufgeschlagen und versuche hier in der Library von Whitehorse und in verschieden Internettcafes meinen ersten Artikel im Einfingersystem zu verfassen.

Genau 3017 km liegen bereits hinter mir, doch der Ruf der Wildnis lockt mich weiter. Bald geht es wieder raus aus der ‘Großstadt’Whitehorse, immer nördlich der Sonne Richtung Alaska.

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