Kanada und die Tücken der Medizin

verfasst November 2008

Heute mal noch ein kleiner Exkurs in die Welt der Medizin in Kanada. Auch hier im Lande gilt wie nahezu überall: Bloß nicht krank werden! Medizinische Behandlung ist zwar grundsätzlich kostenfrei und jeder Bürger hat damit eine Garantie auf ärztliche Versorgung; Betonung liegt aber auch hier auf "grund". Denn alles was über Grund liegt, muss selbst bezahlt werden. Alles im Dentalbereich oder für Brille&Co. muß aus eigener Tasche gezahlt werden.

Der Staat entscheidet also, dass man sozial schlechter gestellte Menschen auch gleich an fehlenden Zähnen oder geflickten Brillengestellen erkennen sollte, denn sowas wird nicht bezahlt. Prima Strategie. Medikamente werden auch nicht getragen. Die Behandlung gibt es also erstmal, wie man später an die notwendigen Heilmittelchen kommst, ist jedem seine eigene Sache.


Eine private Versicherung obendrauf ist also dringend angeraten. Wer arbeitet, bekommt die meist zur Hälfte vom Arbeitgeber gezahlt, der Rest geht vom Gehalt ab. Am Ende einer Behandlung zahlt der geschröpfte Patient - trotz gesetzlicher und Privatversicherung - in den allermeisten Fällen doch noch einen Teil aus der eigenen Tasche.

Das nächste Problem im System ist eine recht geringe Ärztedichte, so dass sich zu wenig Ärzte um die Gesundheit der kanadischen Bevölkerung kümmern. Das kann ich so gleich bestätigen. Wer neu im Land ist, muss sich erstmal einen Hausarzt suchen, denn ohne den läuft hier gar nichts. Termine mit dem Facharzt vereinbaren - auch wenn man weiß, daß nur der helfen kann - kann man nicht machen. Geht einfach nicht. Für alles wird eine Überweisung gefordert.

Der vermeintlich unwissende Patient soll vom Hausarzt erstmal an die richtige Fachkraft überwiesen werden. Als ob ich nicht weiß, dass ich für ein kaputtes Auge zum Augenarzt muss. Nun gut, man fügt sich dem System und macht sich auf die Suche. Und da kommen dann die Härten des Gesundheitswesens ins Spiel.

Der Arzt muss keine neuen Patienten annehmen, nur wenn er dafür Kapazitäten hat - und die hat er ja nicht, weil zu wenige seiner Kollegen im Land sind. Wir begeben uns also in den Teufelskreis. Es gibt eine Webseite, wo sich Ärzte melden, wenn sie neue Patienten aufnehmen können. Wenn sie verfügbar sind, sind sie schon mal verdächtig. Hat der kürzlich einen umgebracht? Hat der überhaupt nen Abschluß? Spricht der Englisch?


Manchmal braucht man aber einfach eine Überweisung und es ist einem egal. Ich hab jetzt einen Hausarzt abbekommen (nach 14 Monaten Suche), bei dem ich nicht ernsthaft krank werden möchte. Der Gute sitzt in einer Praxis, die so alt ist wie ich selber. Er hat einen sehr betagten Herren an der Rezeption sitzen und einen sehr unhygienischen kleinen Hund in seinem Behandlungszimmer auf dem Teppich kleben.

Makaber an der Sache ist, dass mein schrulliger Arzt sich eine Praxis mit einem Allergologen teilt. Für dessen Patienten ist das Hundehaar im Fußbodenbelag bestimmt der beste Weg zur Heilung. Da empfinde ich doch glatt das große "No Parfum"-Schild an der Tür als Beleidigung. Oder ist nur angedacht, dass der Allergiker den Hund besser riechen kann?

Der Arzt ist jedenfalls grenzwertig und seine Lektionen in Richtung Kaffeetrinken bzw. Nicht-Kaffeetrinken stoßen bei mir auf taube Ohren - schon gar nicht früh VOR dem ersten Kaffee. Ich versuch nicht mehr, mit ihm über meine Laster sondern mehr über meine Leiden zu reden. Dafür ist er ja schließlich auch da.

Und eigentlich will ich doch nur das Papier für den anderen Arzt. Damit hat man meist immer noch nicht was man will, denn Wartezeiten bei einer Überweisung sind brutal. Da wird man schonmal auf mehrere Monate vorbereitet.

Schneller gehts nur, wenn man kurz vor dem Sterben ist. Dafür gibt es ja dann die Notaufnahme und die handelt auch nach der Methode: wer das Bewußtsein verliert, kommt als nächstes dran. Wer verblutet gleich danach. 4 bis 5 Stunden Wartezeit für einen Notfall muß man einkalkulieren; also am besten schon vor dem Notfall anstellen. Aber das kanadische Prinzip ist da schon fair: ALLE werden behandelt - wenn sie nicht vorher sterben.


Da lob ich mir die Praxisgebühr und die deutsche Ärztedichte. Da kommt man immer dran, da hat man freie Ärztewahl, kann seine Termine direkt machen und die Überweisung braucht man nur, damit die 10 Euro nicht nochmal im Quartal anfallen. Das kann ja dann die sympatische Rezeptionsdame machen - kein Grund den Hausarzt in Beschlag zu nehmen, der kann sich den allgemein Kranken widmen.

Das nur mal als Exkurs und als gruselige Alternative zu Praxisgebühr & Co. Ich würde gerne wieder den Obolus zahlen, wenn ich dafür meine Behandlung, meinen Arzt und meine Entscheidungsfreiheit bekomme. Kennt einer nen guten Arzt, der auswandern will? Kanada hätte Bedarf. Und ich nehm schon mal die Telefonnummer.

Nachtrag: Inzwischen hab ich eine wunderbare, wenn auch gestresste, Hausärztin, die mich und meine Familie nur über Vitamin B in ihren Patientenkreis aufgenommen hat.


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